Ketamin: Sterben lernen ohne zu sterben

Glaubt man einer Studie aus dem Jahr 2017 , so haben 70% der Menschen unter 30 Jahren Angst davor zu sterben. Für viele Menschen ist der Tod dabei einen Horrovorstellung, die mit Angst vor Leid, Schmerz und Einsamkeit verbunden ist. Eine häufige Form der Behandlung von Ängsten ist dabei die Auseinandersetzung mit dem angstauslösenden Material, was bei der Angst vor dem Tod schwierig ist. Wissenschaftler weisen darauf hin, dass gerade die Behandlung mit Ketamin dabei helfen kann, einen anderen Bezug zum Tod zu bekommen. 

Die Angst vor dem Tod verläuft ist graduell vorhanden

Das Spektrum der Angst vor dem Tod ist dabei weit. Es beginnt mit einem Unbehagen in Bezug auf die eigene Endlichkeit und endet bei der Thanatophobie, einer spezifischen Angststörung, bei der Betroffene häufig mit dem Thema Tod und Sterblichkeit innerlich beschäftigt sind und dabei starke Furcht empfinden. Diese Beschäftigung mit dem Tod kann so umfassend sein, dass neben Furcht auch Emotionen wie Schuld, Traurigkeit und Wut hinzukommen, diese Menschen starke körperliche Anspannungen und andere Stresssymptome erleben und sich schließlich in ihrem  Alltagsleben stark beeinträchtigt fühlen. Aber auch bei milderen Formen kann die Angst vor dem eigenen Tod zu Beklemmungen führen und das Leben belasten.

Die Angst vor dem Tod in der psychotherapeutischen Arbeit

In der psychotherapeutischen Arbeit begegnet uns die Angst vor dem Tod in verschiedenen Gewändern. Die offensichtlichste Form ist die Thanatophobie. Hierzu liegen laut meinem Wissensstand wenig wissenschaftlich abgesicherte Befunde vor. Was jedoch auffällig ist, ist die Tatsache, dass bei genauerem Erfragen weniger die Angst vor dem Sterbeprozess an sich im Vordergrund steht, als vielmehr die Erfahrung von Getrenntheit und Einsamkeit, welche die Betroffenen mit dem Tod assoziieren. Hierbei liegt die Vermutung nahe, dass Betroffene eventuell selbst Trennungserfahrungen zu einem Zeitpunkt in ihrem Leben machen mussten, an die sie sich heute nicht mehr bewusst erinnern können. Solche Erfahrungen können vorgeburtlich, im Geburtsprozess oder auch nach der Geburtserfahrung entstanden sein. Auch spätere Erfahrungen im Laufe des Lebens, bei denen eine zu lange Trennung von den Eltern stattfand, können ein tiefes Gefühl von Getrenntheit auslösen, die sich “wie sterben” anfühlt.

Die Rolle von Ketamin in der Arbeit mit der Angst vor dem Tod

Ketamin besitzt eine Reihe von Eigenschaften, die es zu einer optimalen Mittel im Umgang mit den Ängsten vor dem Tod macht. Ketamin in geringen Dosen führt oftmals zum Erleben von dem Phänomen, welches ich als “Ketamin-Schwärze” bezeichne. Patientinnen und Patienten erleben dabei überzufällig häufig einen unbeschreiblichen schwarzen Farbton, “das dunkelste Schwarz”, welches je gesehen wurde. 

Im mittleren Dosisbereich erleben viele Patienten und Patientinnen aufgrund der anästhetischen Wirkung des Ketamins eine Verringerung des Körpergefühls. Es kommt häufig zu einem Erleben von Schweben oder Fliegen in der Körperlosigkeit. Dieser Zustand ist eine Vorstufe zum Erleben, vor welchem sich Menschen bei einer Angst vor dem Tod häufig fürchten, nämlich nicht mehr zu existieren. 

Steigt die Dosis weiter, kommt es zu vollkommener Körperlosigkeit. Im körperlosen Zustand wird dabei vermehrt von “out-of-body”-Erfahrungen berichtet. Das sind Zustände, bei denen sich die Betroffenen außerhalb ihres Körpers befinden und sich und das Geschehen im Raum beispielsweise über dem eigenen Körper schwebend selbst beobachten und zuhören können. Was im Außen aussieht wie Bewusstlosigkeit, wird im Inneren oftmals als eine Zentrierung des Bewusstseins erlebt. Ab diesem Dosisbereich kommt es auch vermehrt zu sogenannten K-hole-Erfahrungen. Der Begriff, der vor allem von Freizeitkonsumierenden geprägt wurde, beschreibt dabei ein ähnliches Phänomen von Getrenntheit des Bewusstseins von der realen Welt.

Eine weitere im Hochdosisbereich berichtete Kategorie von Erfahrungen sind Nahtoderfahrungen. Solche Erlebnisse werden in der Regel von Menschen beschrieben, welche für einen Moment, zum Beispiel aufgrund eines schweren Unfalls, dem Tod näher sind als dem Leben. Solche Menschen werden häufig medizinisch als Tod erklärt oder in der Reanimation aufgegeben und kommen dennoch überraschend wieder zu Bewusstsein. Betroffene haben dabei häufig von Erfahrungen berichtet, einem Licht am Ende eines Tunnels näher zu kommen, wichtige Momente des Lebens vor Augen geführt zu bekommen oder von engelhaften Wesen begleitet zu werden.

Ketamin für die Therapie bei Ängsten vor dem Tod

Ketamin gilt unter Fachleuten aufgrund seines Wirkungsprofils als vergleichsweise sicheres, nebenswirkungsarmes Medikament. Aufgrund des jahrzehntelangen Einsatzes von Ketamin in der Anästhesie und Notfallmedizin, gibt es umfassende Erfahrungen und Studienergebnisse zum sicheren Einsatz von Ketamin.  So kann in einem medizinisch sicheren Umfeld ein Rahmen für oben beschriebene Erfahrungen geschaffen werden, wobei eine Auseinandersetzung mit der eigenen Endlichkeit in einem sicheren Rahmen ermöglicht werden kann. Wissenschaftler wie Jens Dreier von der Charité Berlin gehen davon aus, dass Ketamin dazu dienen kann, den eigenen Tod zu simulieren, da Ketamin vermutlich die gleichen neurophysiologischen Mechanismen in Gang setze, wie dies bei sterbenden Menschen der Falls sein könnte. 

Die Rolle der Psychotherapie

Die hier aufgeführten Erfahrungen sind teils wissenschaftlich erfasste Ansammlungen aus subjektiven Berichten von Menschen, die mit unterschiedlichen Dosen von Ketamin verschiedene Erfahrungen sammeln konnten. Das sollte jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass es nicht möglich ist, solche Erfahrungen zu planen. Eine umfassende psychotherapeutische Vorbereitung kann es wahrscheinlicher machen, dass es zu solchen Erfahrungen kommen kann. Dennoch gibt es keine Garantie für das Auftreten solcher Phänomene. Auch die Art und Weise, wie eine solche Erfahrung verarbeitet wird, unterscheidet sich stark. Eine umfassende psychotherapeutische Begleitung kann dabei helfen, dass solche Zustände nicht belastend erlebt werden und der maximale Nutzen aus einer solchen Erfahrung gewonnen wird.